Andrea K. (Holland)
Der Umgang mit Kindern und Jugendlichen hat mir immer viel Spaß gemacht, ich übersetze seit Jahren Kinder- und Jugendliteratur, schreibe Literaturrezensionen, gebe Erwachsenen Deutschunterricht und dachte mir – angesteckt durch die sehr positiven Erzählungen einer Freundin, die den Lehrerberuf ergriffen hat – dass dieser Beruf womöglich genau das Richtige für mich sein würde. Ich stellte mir vor, dass ich jungen Leuten Lust auf Literatur machen würde und sah mich gemeinsam mit Schülern Theaterstücke schreiben und aufführen und die eine kreative Idee nach der anderen entwickeln.
Also meldete ich mich mit 34 Jahren für eine zweijährige Teilzeitausbildung zum Lehrer (für die weiterführende Schule und die gymnasiale Oberstufe) an, die sich mit meiner Arbeit als Übersetzerin kombinieren ließ. Ich lebe in Amsterdam, wo ein großer Mangel an Deutschlehrern herrscht. Der Direktor der Schule, an der auch meine Freundin arbeitete, hatte einen Vorschlag, der mir sehr einleuchtend vorkam: Statt eines Praktikums konnte ich auch gleich eine Stelle als Lehrerin bekommen, die Unterrichtsstunden musste ich im Rahmen der Ausbildung ja doch geben, warum nicht gegen Bezahlung?
So stand ich plötzlich vor 28 Zwölfjährigen, denen ich Deutsch beibringen sollte. Zehn Jahre zuvor hatte ich im Rahmen meines Germanistikstudiums ein mehrwöchiges Praktikum an einer Schule gemacht, das mir gut gefallen hat. Dort war immer eine erfahrene Lehrerin zugegen.
Jetzt war alles anders – ich stand alleine vor der Klasse und fühlte mich auch sehr alleine. Ich freute mich schon, zu merken, dass die Kinder durchaus etwas lernten, gleichzeitig jedoch wunderte ich mich, wie das bei dem in meinen Klassen ständig herrschenden Lärm nur möglich war. Immer redeten alle durcheinander und alle Versuche, das mir aus meiner eigenen Schulzeit vertraute System einzuführen, bei dem man aufzeigt und erst etwas sagt, wenn man an der Reihe ist, scheiterten kläglich. Ich schaffte es einfach nicht, System und Ordnung in eine so große Gruppe nicht- Erwachsener reinzukriegen. Meine Erfahrungen in der Erwachsenenbildung waren hier nahezu völlig unerheblich, die Arbeit mit Schulkindern ist völlig anders.
Ich verstehe heute nicht mehr, wie ich so naiv sein konnte, aber ich hatte mir das einfach nicht klargemacht. Meine Erfahrung im Umgang mit Kindern beschränkte sich auf höchstens drei Kinder gleichzeitig, mit denen ich dann malte oder andere Freizeitaktivitäten unternahm. Nachteil an der bezahlten Stelle war natürlich, dass kein erfahrener Lehrer mich begleitete. Zwei oder drei Wochen, nachdem ich meine Stelle angetreten hatte, begann meine theoretische Ausbildung, die mir schon geholfen hat und während der natürlich auch Ordnungsprobleme besprochen wurden; das enorme Einstiegstrauma war jedoch einfach da und ließ sich nicht mehr mildern, meistens fuhr ich mit Bauchweh zur Schule.
Meine überstürzte Wahl hat mir nicht gut getan, ich hätte besser nachdenken sollen.
Meine Tipps für Leute, die aus einem ruhigen Beruf in den Lehrerberuf wechseln möchten:
>> Fragen Sie sich ganz kritisch, wie viel die Ruhe Ihnen bedeutet. Es gibt bestimmt Menschen, die aufblühen, wenn sie in einem so turbulenten Alltagsleben landen, ich hingegen fühlte mich jeden Tag verwelkter. Trauen Sie sich, um Hilfe zu bitten, das ist keine Schwäche, sondern Stärke!
>> Machen Sie sich klar, ob Sie der Liebe zu Ihrem Fach in der Schule Gestalt geben können. Das gelang mir nämlich auch nicht, während ich mich jetzt - wieder Vollzeitübersetzerin, Rezensentin und in der Erwachsenenbildung tätig – wieder täglich an meinem Fach erfreue. Kinder unterrichten passte einfach nicht zu mir.